Filmsynchronisation in Deutschland: Geschichte der Synchronisation

    2013-08-26 Synchronsprecher

    Vor über einem Jahrhundert haben die Bilder zu laufen begonnen. Das Sprechen haben sie allerdings erst deutlich später gelernt. Mitte der 1920er Jahre markierten die ersten Tonfilme das langsame, letztlich aber unvermeidbare Ende der Stummfilmära.

    Synchronsprecher

    Und der Tonfilm brachte gerade bei ausländischen Produktionen ein Problem mit sich: Das Kinopublikum verlor recht bald das Interesse an den Filmen, da es die Dialoge größtenteils nicht verstand. Waren Stummfilme noch international verständlich, brauchte es plötzlich Hilfe von außen, um die nun bestehenden Sprachbarrieren zu überwinden. Der Beruf Synchronsprecher war geboren.

    1930 - Eine Herausforderung für Synchronsprecher und Publikum 

    Nicht zuletzt um die Chancen am Markt zu verbessern, entstanden erste Synchronfassungen, die zunächst allerdings arg unter den technischen Gegebenheiten der damaligen Zeit litten und vom Publikum eher verhalten aufgenommen wurden. Es brauchte bis in die 1930er Jahre, bis die Qualität der Synchronisation gerade in Bezug auf Bild-Ton-Synchronität ein Niveau erreicht hatte, das die Zuschauer zufrieden stellte. Diese mussten sich zudem erst einmal daran gewöhnen, dass ihre einstigen Stummfilmhelden plötzlich sprechen konnten. Und dass sie sogar deutsch sprachen. „Es hat einige Jahre gedauert, bis Synchronisation in Deutschland akzeptiert wurde“, erinnert sich Joseph Garncarz, Film- und Fernsehwissenschaftler an der Universität Köln in einer Sendung des Deutschlandradios Kultur.

    „Das ist ein kultureller Lernprozess, bei dem die Zuschauer in gewissem Sinne vergessen können müssen, dass derjenige, der spricht, eben nicht identisch ist mit demjenigen, den sie auf der Leinwand sehen.“

    Zwar litten die deutschen Fassungen ausländischer Filme zu jener Zeit immer noch unter Qualitätsproblemen. Deren Produktionsfirmen zeigten sich von den Einspielergebnissen und ihrer Position am deutschen Markt dennoch überzeugt. Zumal die Synchronisation eine deutlich kostengünstigere Alternative zu einer seinerzeit ebenfalls erprobten Methode darstellte, Filme im Ausland zu vermarkten: Beim Drehen so genannter Sprachversionen wurde derselbe Film mit Darstellern aus dem jeweiligen Zielland mehrfach aufgenommen. Auch in Deutschland wurde so für den internationalen Markt produziert. Kosten und Aufwand standen allerdings in keinem Verhältnis zu den Einspielergebnissen, so dass die Produktion von Sprachversionen um 1931 herum zugunsten der Arbeit mit Synchronsprechern nahezu komplett aufgegeben wurde. Nur sporadisch wurde diese in späteren Jahren noch einmal aufgenommen. Spätestens zum Ende der 1950er Jahre entschlummerten die Sprachversionen endgültig. Was übrig blieb, waren zwei Möglichkeiten, Filme für den ausländischen Markt aufzubereiten: Synchronisation und Untertitelung. Gerade kleinere oder mehrsprachig bewohnte Länder entschieden sich für letztere Lösung. In Deutschland setzte sich hingegen früh – meint: im weiteren Verlauf der 1930er Jahre – die Synchronisation als Lösung durch.

    1940 - Im Dienste der Ideologie

    Und mit ihr stellte sich nicht nur die Aufgabe, die Dialoge eines Filmes so zu übersetzen, dass sie lippensynchron gesprochen werden und gleichzeitig den Film inhaltlich verständlich transportieren konnten. Mit der Synchronisation bot sich auch die Gelegenheit, den Film auch kulturell zu übersetzen. Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland weiter Filme aus dem französischen und angelsächsischen Sprachraum gezeigt. Vor ihrer Aufführung wurden sie durch Synchronisation jedoch auf Linie gebracht. In den Augen der Nationalsozialisten fragwürdige oder unzulässige Inhalte wurden durch sorgfältiges Umschreiben der Dialoge in die „richtige“ Richtung gedreht. Im Rückspiegel betrachtet, stellte der vermeintlich offene Umgang mit ausländischen Filmen ein weiteres Rädchen in der Propagandamaschinerie der Nazis dar. Der zweite Weltkrieg war in dieser Hinsicht eine deutliche Zäsur, ging er doch mit einem rigiden Verbot ausländischer Filme einher. Während der deutsche Markt für ausländische Filmfirmen zusammenbrach, verlegten sich die Synchron- Studios darauf, deutsche Propagandafilme in andere Sprachen zu übersetzen.

    Mit der Kapitulation des deutschen Reiches 1945 wurde die gesamte Filmindustrie unter die Aufsicht der Alliierten gestellt und mit einem vorläufigen Arbeitsverbot versehen. Vor allem im amerikanischen Sektor erhielten Lichtspielhäuser jedoch früh wieder die Erlaubnis, Filme zu zeigen. Diese stammten vornehmlich aus amerikanischer Produktion und sollten nicht zuletzt einer Re-Edukation des Volkes dienen, diesem aber auch zeitgleich unterhaltend über den harten Nachkriegsalltag helfen – eine kulturpolitische Entscheidung der Alliierten, die schon bald auch im britischen Sektor Anwendung fand. Wie schon vor dem Krieg fanden Ausstrahlungen mit Originalfassungen und Untertiteln allerdings erneut kaum Anklang beim vergleichsweise verwöhnten Publikum, so dass Synchronstudios bereits 1946 die Lizenz erhielten, ihre Arbeit wieder aufzunehmen – noch vor Produktionsfirmen und Filmverleihern als erster Zweig der deutschen Filmindustrie.

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    1950 - Vermeintlich Unzumutbares eliminieren

    In der Folgezeit herrschte Hochkonjunktur im Synchrongewerbe. Stetig nahm die Zahl ausländischer Filme zu, die für den deutschen Markt aufbereitet werden mussten. Zu Beginn der 1950er Jahre gab es in Deutschland erstmals mehr Produktionen aus den USA als aus einheimischen Studios zu sehen. Die immer feineren Einstellungsmöglichkeiten der Technik ließen Synchronisationen in immer besserer Qualität zu. Inmitten des Boomes blieb die Branche dennoch nicht frei von Vorwürfen. Denn wie in der Vergangenheit wurde je nach Kernaussage des Films im Lauf seiner Bearbeitung immer noch massiv in dessen Inhalte eingegriffen. Beim Versuch, dem deutschen Publikum vermeintlich Unzumutbares zu ersparen, wurde umgeschrieben und beschnitten, was eben für unzumutbar gehalten wurde. Gerade Hinweise auf Faschismus und Nazizeit wurden zu Zeiten des Wirtschaftswunders rigoros aus den Dialogen, teils auch mittels Schnitt aus den kompletten Spielszenen entfernt. Zum Teil wurden solche Maßnahmen durch ausländische Verleihfirmen nicht nur gebilligt. Mit Blick auf potenzielle Zuschauerzahlen wurden sie von ihnen sogar initiiert. Zwei markante Beispiele für derart umfassende Eingriffe sind „Notorious“ von Alfred Hitchcock und der seinerzeit noch nicht als Kultfilm gehandelte „Casablanca“.

    Im Synchrondialog von „Notorious“ wurden aus mit Uranerz handelnden Nazis plötzlich internationale Rauschgifthändler, weswegen der Film konsequenterweise den Titel „Weißes Gift“ erhielt. Bei „Casablanca“ eliminierten die für die Bearbeitung Verantwortlichen den gesamten Nazi-Anteil der Handlung und ersetzten ihn durch eine vergleichsweise simple Agentengeschichte, in der sich internationale Spione auf die Jagd nach der Formel eines skandinavischen Wissenschaftlers machten. Gerade „Casablanca“ wurde durch den inhaltlichen Eingriff seiner eigentlichen Kernbotschaft vollständig beraubt. Es dauerte über anderthalb Jahrzehnte, bis diese nicht einfach nur handwerklichen Fehler der frühen Nachkriegsjahre rückgängig gemacht wurden. Neu und inhaltlich korrekt synchronisiert liefen „Notorious“ – nun unter dem Titel „Berüchtigt“ – 1969 im ZDF und „Casablanca“ 1975 in der ARD.

    1960 „Hauptsache, es passt zum Bild.“

    Bei allem Unverständnis, das die Bearbeitung dieser und anderer Filme in der Gegenwart hervorruft, soll keinesfalls darüber hinweggegangen werden, dass die Synchronisation nach Meinung auch heutiger Experten in den 1950er und 1960er Jahren ein nahezu durchgehend hohes Niveau aufwies. Von Akribie ist in deren Bewertungen die Rede, von akkurater Herangehensweise an die Originalfassungen und behutsamem Umgang mit einem wichtigen Aspekt, den die beiden Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen einmal wie folgt beschrieben haben: „Bei der Synchronisation geht es nicht nur um Übersetzung wie bei den Untertiteln, sondern um die vollständige Ersetzung einer akustischen Simulation von Wirklichkeit durch eine andere. Während es bei einer Übersetzung vielleicht Fehler gibt, ist die Synchronisation immer eine Neuschöpfung.“ Dieser Sichtweise folgend, bringt die Synchronisationsarbeit eine gewisse Verantwortung mit sich – sofern man denn beabsichtigt, dem Original in seiner Bearbeitung gerecht zu werden. Blick und Gefühl fürs Detail sind in diesem Kontext unabdingbar. Schon die Wahl des Synchronsprechers ist ein wichtiger Teil dieser Neuschöpfung. Allein seine Stimme schafft eine unter Umständen gänzlich andere Atmosphäre als es die Stimme des synchronisierten Schauspielers zu tun vermag.

    1970 - Ein Tiefpunkt

    In den 1970er Jahren – aus heutiger Sicht vielfach als Zeit der synchronisatorischen Tiefpunkte beschrieben – wurde auf eine derart akribische Herangehensweise nicht mehr allzu viel Wert gelegt. Wieder wurden Filme aufs Gröbste inhaltlich verändert. Anders als gut 30 Jahre zuvor ging es aber nicht um die Vermittlung einer Ideologie. Es war schlichtweg die Gunst der Zuschauer, die den ausführenden Mitarbeitern und Autoren bei ihrem Tun vorschwebte. Beim Buhlen um eben diese Gunst setzte man vor allem auf flache Witzchen, Kalauer und völlig aus der Luft gegriffene deutsche Mundarten in möglichst unpassenden Umgebungen. Plötzlich sächselten Inder oder sprachen Koreaner bayrisch. Wirklich kein Scherz war zu billig, dass man ihn nicht machen wollte. Gegenüber Deutschlandradio Kultur umriss mit Rainer Brand einer der Urväter dieser Brachial-Synchronisation seine damals übliche Vorgehensweise:

    „Wenn kein Supervisor da ist, der darauf besteht, genau am Originaltext zu bleiben, und ich merke, der Text ist nicht gut, drehe ich den Ton ab, schaue mir die Schauspieler an und schreibe was auf die Gestik. Und dann wird’s auch komisch. Aus einer Geschichte über ABC-Waffen und Mao Tse Tung wird im Handumdrehen die Story eines Drogenhändlers in Florida. Hauptsache, es passt zum Bild.“

    1980 bis heute - Behutsamer Balanceakt

    Diese Arbeitsauffassung ist im Lauf der Jahre wieder verschwunden. Spätestens als schwäbelnde Eskimos nicht mehr für Lachstürme im Kinosaal und Zuschauerströme an den Kassen sorgten, hatte sich die Balla-Balla-Synchronisation überlebt. Längst gehen die Mitarbeiter der Branche und die Synchronsprecher wieder respektvoll mit den Originalfassungen der Filme um, was neben der Einsicht als erstem Weg zur Besserung sicherlich auch mit der Einführung der DVD zusammenhängt. Mit dieser und der Möglichkeit, auf ihr mehrere Tonspuren anzubieten, kann das Publikum verschiedene Versionen miteinander vergleichen. Eine inhaltliche Neuerfindung durch die Synchronisation wird dadurch ebenso unterbunden, wie das Verschwindenlassen vermeintlich ungeliebter Teilaspekte eines Films. Doch auch ohne allzu große inhaltliche Abweichungen und aller akribischen Synchronisation zum Trotz wird beim Hin- und Herschalten zwischen unterschiedlichen Tonspuren immer wieder deutlich, dass die Interpretation der Synchronsprecher und Autoren mehr als nur die jeweilige Übersetzung transportieren.


    Guter Synchronisation kommen in diesem Zusammenhang gleich mehrere Aufgaben zu: Die Nähe zum Original darf nicht verloren gehen. Gleichzeitig sollen Tonfall und Eigenheit der eigenen Sprache ihren Entfaltungsraum finden. Und der Spagat zwischen diesen beiden Ansprüchen soll so vollführt werden, dass der Zuschauer zumindest nicht über das Auseinanderklaffen von Ton und Bild verzweifelt. Im Idealfall wird Synchronisation also nicht als Handwerk verstanden, sondern als Kunstform, als Balanceakt, der den Film zumindest teilweise neu komponiert – möglichst behutsam und respektvoll. Dies galt schon in den frühen Tagen der Synchronisation und es gilt bis zum heutigen Tag. Was sich neben den technischen Möglichkeiten seither vor allem verändert hat, ist das Bewusstsein für diesen Umstand – sowohl auf Seiten der Synchronsprecher, als auch auf Seiten des Publikums. Die deutsche Version eines amerikanischen Filmes ist eben kein amerikanischer Film mehr. Sie ist mehr als seine bloße Übersetzung.


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