Irina von Bentheim über die Synchronisation in Deutschland [Podcast]

    2017-07-21 Synchronsprecher

    Irina von Bentheim, vor allem als die Stimme von Carrie aus Sex and the City bekannt, ist eine der bekanntesten Synchronsprecherinnen Deutschlands. Was viele nicht wissen: zusätzlich ist sie auch schon seit etlichen Jahren eine erfolgreiche Synchronregisseurin. Uns hat sie erzählt, was für sie das Besondere an dieser Tätigkeit ist, von der Kirch-Pleite und dem erneuten Aufschwung durch Netflix, Amazon und Co, und worauf es für sie bei einem guten Synchronbuch ankommt.



    Ein aufregender Job: Synchronregie

    Ein Film bzw. eine Serie wird nicht chronologisch in ihrer eigentlichen Reihenfolge aufgenommen, sondern einzeln Sprecher für Sprecher. Meist nehmen sie dann nicht nur die eine Folge oder den einen Film auf, sondern synchronsieren direkt mal eine zweite Folge mit dazu. 

    So hat also jeder Sprecher nur Überblick über seinen eigenen Text und eventuell einen groben Kontext. Der Synchronregisseur muss einen Gesamtüberblick über den chronologischen Ablauf der Dialoge haben und trägt die Verantwortung für den perfekten Ablauf. Hierzu hält er regelmäßig Rücksprache mit Autoren und Redakteuren, die an der Produktion beteiligt sind. Denn die Dialoge, die jeder Sprecher einzeln Satz für Satz aufnimmt, müssen am Ende einen stimmigen Gesamteindruck ergeben. 

    Genau hierin liegt auch für Irina das aufregende an diesem Job: 


    Dazu kommt ein hoher Zeitdruck durch knappe Abgabetermine, die schnelle Produktion der Serien und die damit verbundenen engen Timings. 

    Eine Folge einer Serie wird heutzutage beispielsweise innerhalb von zwei Tagen synchronisiert, wobei man meist an mindestens zwei Folgen gleichzeitig arbeitet.

    Die Produktion ist immer sehr nah an der Veröffentlichung dran:


    „Am extremsten ist es glaube ich bei The Walking Dead. Da kommt Freitagabend die Folge, die wird getextet, dann wird sie getaket, dann wird sie Dienstag/Mittwoch aufgenommen, und dann wird sie ausgestrahlt.”

    Das Synchronbuch - eine Kunst für sich

    Möglich ist eine so schnelle Arbeit nur mit einem guten Synchronbuch. Es enthält sämtliche Dialoge eines Films. 

    Das Bild besteht bereits, jetzt geht es darum, möglichst getreu der ursprünglichen Inhalte (Humor, Pointen, Satzbauten und Silben) den Text zu übersetzen - und dem Zuschauer trotzdem ein natürliches Seh-und Hörerlebnis zu ermöglichen. Das geht nur, wenn der gesprochene Text nicht völlig von den Lippenbewegungen des Schauspielers abweicht.

    Für Irina sind dies die zwei wichtigsten Aspekte, die oft miteinander im Konflikt stehen: zum einen die gute Sprache, die nicht durch zu viele Amerikanismen verfremdet werden soll, und zum anderen die Synchronität.

    Hier ist die Problematik, dass beispielsweise die englische Sprache sich stark von der deutschen Unterscheidet: Es werden weniger Wörter benötigt, die Sätze sind viel kürzer als im Deutschen, mit vielen Pausen.


    „Das ist die große Kunst. Weil es muss zumindest, wenn schon nicht jeder Labial, also Mundschluss, getroffen wird, muss zumindest der Rhythmus stimmen.”

    Irina schreibt ihre Synchronbücher am liebsten selbst. So kann sie sicherstellen, dass die Sprache, Satzbau und Formulierungen so übermittelt werden, wie es in ihrem Sinne ist. Da legt sie besonderen Wert drauf: Amerikanismen kommen bei ihr nur vor, wenn es die Rolle erfordert. Sie hat in ihrer Erziehung eine gute deutsche Sprache beigebracht bekommen, und möchte das auch weitergeben.


    „Ich mach jetzt zum Beispiel auf viel für Kinder und da ist es mir zum Beispiel auch wichtig, dass die Sprache reich ist.”

    Je länger man sich damit befasst, desto besser wird man darin, möglichst viel Potential aus dem gegebenen Take auszuschöpfen.

    So kann man immer noch mehr Text reinbringen, als gedacht.

    Improvisation bei der Synchronisation

    Das passiert bei Irina dann teilweise mitten in der Aufnahme, während des Synchronisierens - sogar, wenn sie gerade eigentlich "nur" spricht:


    „Wenn man viel in dieser Branche gearbeitet hat, dann wird man auch als Sprecher zu einem Zauberer oder zu einer Zauberin und sagt 'warte mal, komm, mach mal Aufnahme, ich zeig dir mal, das krieg ich rein.' und dann plötzlich, wie Zauberei, plötzlich geht das.”

    Improvisation ist Gang und Gebe bei der Arbeit im Synchronstudio. Schon vor der Kirch-Pleite* hatten Synchronsprecher einiges an Serien zu synchronisieren.

    Da hieß es nicht selten während der Aufnahme:


    „Komm, mach rot, die Rolle hab ich jetzt monatelang schon gesprochen, ich weiß genau wie die tickt, wie die atmet, was sie macht, komm, mach rot, ich mach rauf.”

    Doch komplett improvisiert, ohne Taker und sonstige Unterteilungen, geht es nicht. Das hält Irina für völlig unseriös.


    „Ohne, dass etwas getaket ist und ohne Startband brauchst du gar nicht erst anzufangen zu synchronisieren. Du brauchst immer ein Startband, du brauchst immer dieses '1,2,3', und dann gehts los, und dann bist du immer noch zu spät im Einsatz.”

    Kirch-Pleite und Netflix: Der Wandel der Synchronisation in Deutschland  

    Es gab schon mal eine Zeit, in der Synchronsprecher in Deutschland ähnlich viel zu tun hatten wie heute in Zeiten von Netflix und Co. Vor der Kirch-Pleite gab es zahlreiche Serien, die ins Deutsche übersetzt wurden und die es zu synchronsieren galt. Doch mit einer der größten Firmenpleiten Deutschlands 2002 lief das Synchrongeschäft jahrelang mau. Wermin den letzten 10-15 Jahren als Synchronsprecher tätig war, wird berichten, wie verpönt das Geschäft der Synchronsprecher war. Es wurde sogar vermutet, dass sich das Geschäft nicht mehr lange hält, sondern in absehbarer Zeit eh alle Filme im Originalton mit Untertiteln gezeigt werden. 

    Erst in den letzten Jahren erlebte die Synchronisation wieder einen enormen Aufschwung: Synchronregisseure, Synchronbuchautoren und Synchronsprecher sind in Zeiten von Netflix, Amazon und Co so gefragt wie nie zuvor. Es wird Tag und Nacht an neuen Produktionen gearbeitet, und trotzdem sind alle voll ausgelastet. Somit ist für alle, die sich in diesem Bereich etablieren wollen, genau jetzt die richtige Zeit. Das sagte uns Irina selbst sogar schon in der ersten Folge des Podcasts: vor 5 Jahren hätte sie das nicht gesagt, hat sie uns verraten. 

    Neben ihrem Expertenwissen zur Synchronregie gab es in der aktuellen Podcastfolge auch einige tiefgehende Einblicke in die Kunst des Sprechens, und insbesondere in ihre Art, mit echten und künstlich hergestellten Emotionen umzugehen.

    Es lohnt sich, mal reinzuhören!

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